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Hörschädigungen bei Kindern

Bildnachweis: ©Deutsche Kinderhilfe/Aktion Frühkindliches Hören

Eine wichtige Voraussetzung für die gesunde Sprachentwicklung bei Kleinkindern ist ein gesundes Hören. Auch die Entwicklung einer guten Sozialkompetenz ist zurückzuführen auf ein gesundes Hören. Denn Kinder, die über ein eingeschränktes Hörvermögen verfügen, können die akustischen Reize, die von außen auf sie einwirken, nur bedingt aufnehmen und entwickeln dadurch sprachliche, motorische und langfristig sogar soziale Defizite. Kurz gesagt: Ein Kind, das schlecht hört, wird später auch schlecht sprechen können; und ohne die Sprache kann es an seiner Umwelt nur bedingt teilnehmen und wird dadurch auch in seinem gesellschaftlichen Leben eingeschränkt sein. Soweit muss es aber nicht kommen, denn die Medizin verfügt heute über qualitativ hochwertige Früherkennungsmaßnahmen – schon bei Säuglingen. Bereits die ersten sechs Monate im Leben eines Kindes mit Hörschädigung sind entscheidend für sein gesamtes weiteres Leben. Wissenschaftliche Studien der letzten Jahrzehnte belegen nachweislich den Zusammenhang zwischen der frühzeitigen Diagnose einer kindlichen Hörschädigung und der dadurch resultierenden Hör- und Sprachentwicklung. Die Medizin weiß heute, dass die Rehabilitationsmöglichkeiten für die Entwicklung eines Kindes deutlich nachlassen, je später die Hörschädigung entdeckt wird – und die Abhängigkeit von gesundheitlichen wie auch sozialen Hilfestellungen sich somit im gleichen Maßen vergrößert. Umgekehrt ermöglichen eine frühzeitige Erkennung und sofortige, individuelle Rehabilitationskonzepte dem hörgeschädigten Kind die Chance auf ein glückliches und langfristiges selbstbestimmtes Leben.
Laut der Deutschen Kinderhilfe e.V. werden in Deutschland pro Jahr zwischen 1.800 und 2.400 Kinder mit einer beidseitigen und etwa 200 Kinder mit einer einseitigen Hörschädigung geboren. Angeborene, versorgungsbedürftige Hörschädigungen sind die am häufigsten angeborenen Sinnesbehinderungen. Aus diesem Grund hat es sich die Aktion „Frühkindliches Hören“ der Deutschen Kinderhilfe zur Aufgabe gemacht, die Früherkennung und Behandlung von Hörschäden bei Kindern in Deutschland voranzutreiben. Durch mehr Information, die Erstellung individueller Arbeitsprogramme für Diagnostik, Rehabilitation und Hörförderung von Kleinkindern und umfangreiche Forschung sowie Weiterbildung soll auf das Thema Hören mehr Aufmerksamkeit gelenkt werden. Auch die Hörakustikerin Patricia Gravenstein (65) weiß nach 40 Jahren Berufserfahrung, wie wichtig eine frühest-mögliche Aufklärung ist: „Eltern müssten mehr und viel früher zum Thema Hören sensibilisiert werden – am besten schon während der Schwangerschaft bei den Gynäkologen, spätestens aber in den Geburtskliniken.“ Zwar würden heute bei jedem Neugeborenen am zweiten oder dritten Lebenstag auf der Geburtsstation Hörscreenings durchgeführt, aber manche Diagnostik ginge immer noch unter, da es an den notwendigen Informationen fehle. „Bei einem negativen Testergebnis, also einer möglichen Hörschädigung des Säuglings, erhalten Eltern die Adresse eines HNO-Arztes, bei dem die Messung wiederholt wird. Spätestens im dritten Lebensmonat sollte dann in einer Pädaudiologischen Klinik eine eingehende Diagnostik durchgeführt werden, um schwerhörige Kinder spätestens bis zum sechsten Monat mit Hörgeräten versorgen und Frühfördermaßnahmen einleiten zu können.“ Auch Gravenstein hat die Notwendigkeit von ineinandergreifenden Maßnahmen erkannt und im Raum Ruhrgebiet ein Netzwerk geschaffen, in dem sich Akustiker, Logopäden, HNO-Ärzte, Pädagogen und Pädaudiologen regelmäßig untereinander austauschen: „Es ist wichtig, dass von Anfang an alle an einem Strang ziehen und die Distanz zwischen Ärzten und Therapeuten verringert wird. Nur so können wir die Eltern auffangen und rund um das betroffene Kind interdisziplinär zusammenarbeiten.“ In Deutschland wurde zwar im Jahr 2009 das Universelle Neugeborenen- Hörscreening (UNHS) eingeführt, das die zum Zeitpunkt der Geburt bereits entwickelte Hörfähigkeit feststellt. Das Konzept der Aktion Frühkindliches Hören setzt sich aber dafür ein, dass dieses UNHS um ein bundesweit einheitliches „Tracking“ ergänzt wird, also die Verlaufskontrolle und die Versorgung nach einem auffälligen Hörscreening sichert. Denn ohne eine zentrale Datenerfassung würden viele der im Screening auffälligen Kinder nicht zu einer Nachfolgeuntersuchung vorgestellt, wodurch nicht mehr gewährleistet ist, dass Diagnostik, Therapie und Frühförderung innerhalb der notwendigen 180 Tage nach der Geburt ablaufen. Eine bundesweite Hörscreeningzentrale könnte laut der Deutschen Kinderhilfe all dies leisten und die hörgeschädigten Kinder in allen Fragen der fachärztlichen Untersuchungen, Versorgung mit Hörsystemen und Nachsorge begleiten, bis die pädagogische Frühförderung eingeleitet ist.
Patricia Gravenstein betont hier die Wichtigkeit der individuellen und ganzheitlichen Frühförderung, angepasst an die jeweiligen körperlichen und geistigen Voraussetzungen des Kindes. Von entscheidender Bedeutung sei auch die Einbeziehung der Eltern in sämtliche Prozesse: „Vor allem müssen die Eltern aufgeklärt werden, wie das Hörvermögen des Kindes über die Versorgung mit Hörsystemen geweckt und gelenkt werden kann. Die Hör- und Sprachentwicklung des Kindes sollte sowohl von den gut informierten Eltern, wie auch den Pädaudiologen, den Hörgeräteakustikern und den Hörgeschädigten-Pädagogen dokumentiert werden, damit die Kinder ganzheitlich gefördert werden können.“ Bei allen Maßnahmen sei es selbstverständlich, dass das hörgeschädigte Kind im Zentrum stehen müsse.
Auch die Deutsche Kinderhilfe setzt auf die engmaschige Zusammenarbeit zwischen Eltern und Therapeuten. Nur durch Frühfördermaßen und deren Kontinuität könnten optimale Hör- und Sprachlernbedingungen für das hörgeschädigte Kind geschaffen werden. Auf den ersten Blick eine große Verantwortung für alle an der Versorgung und Förderung Beteiligten. Natürlich: aber auch eine große Chance für das Kind und seine Familie.

Helene Seidenstücker

 

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