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Bester Schutz? Ein starkes Kind

Was Eltern gegen sexuelle Gewalt tun können

Jedes vierte Mädchen und jeder zwölfte Junge werden im Laufe ihrer Kindheit Opfer sexueller Gewalt. Schockierende Zahlen, die gerade im Hinblick auf die eigenen Kinder Sorge bereiten. Was können Eltern tun, um Kinder vor sexuellen Übergriffen zu schützen? Von Christian Rommert

Auch wenn absolute Sicherheit eine Illusion ist, durch einige Maßnahmen kann die Gefahr, dass das eigene Kind Opfer sexueller Gewalt wird, deutlich reduziert werden:

Maßnahme Nr. 1: Vom Umgang mit (Scham-)Grenzen

Bei sexueller Gewalt geht es um Macht, um Sexualität und um Grenzen. Es geht ums Nein-Sagen. Es geht darum, Gefühle wahrzunehmen und darum, zwischen guten und schlechten Gefühlen unterscheiden zu können. Es geht um einen sensiblen Umgang mit dem eigenen Körper. Mehr als durch Bücher, Präventionsprojekte und intensive Gespräche lernen Kinder durch Ihr Vorbild. Können Sie selbst Grenzen setzen? Akzeptieren Sie die Schamgrenze Ihres Kindes, wenn es nicht mehr mit Ihnen im Badezimmer sein möchte? Vermitteln Sie Ihrem Kind Ihre eigene Schamgrenze? Geben Sie Fehler zu und können sich entschuldigen? Wird das Nein eines Kindes akzeptiert oder weggebrüllt? Was passiert, wenn Ihr Kind sagt: „Ich mag nicht, wenn Opa mich küsst!“? Wären Sie bereit, mit Ihrem Vater oder Schwiegervater zu sprechen, wenn er dieses Nein des Kindes nicht akzeptiert? Wenn Sie Grenzen respektieren, wenn Sie selbst integer, vertrauensvoll und beherrscht sind, wird Ihr Kind viel eher spüren, dass das Verhalten eines Täters nicht in Ordnung ist.

Maßnahme Nr. 2: Beziehungspflege

Kinder spüren, ob man ihnen wirklich begegnet, sie ernst nimmt, sie hört oder ob die Beziehung zwischen Eltern und Kind eine Einbahnstraße ist. Bevor Kinder die ganz großen Themen ansprechen, muss Vertrauen gewachsen sein. Deshalb ist es so wichtig, zweckfreie Zeit miteinander zu verbringen, zu spielen, zu reden und zu lachen. Investieren Sie in das Vertrauen und in die Beziehung zu Ihrem Kind! Kinder testen, ob ihnen mit Interesse begegnet wird. Ob sie Befehlsempfänger sind, die in erster Linie lieb sein müssen, oder ob sie ein Gegenüber für den Erwachsenen sind, das ernstgenommen wird. Ich bin der Überzeugung, es geht im Umgang mit unseren Kindern weniger um Erziehung und viel mehr um Beziehung. Eine intakte Beziehung zu den Eltern ist in jedem Fall der wirksamste Schutz vor übergriffigem Verhalten!

Maßnahme Nr. 3: Über Sex reden

Macht das Thema Sex Ihnen Angst, löst es Enge oder Druck aus oder leben Sie einen heilen, achtsamen und sensiblen Umgang miteinander? Haben Sie eine angemessene Sprache über Sex entwickelt, eine Sprache, die ausdrückt, dass Sex etwas Schönes, Intimes, Geheimnisvolles und Ausdruck für eine intakte Beziehung ist? Häufig nutzen Täter Nischen und Lücken, die Eltern an dieser Stelle lassen. Sie spielen den „Love-Teacher“, den Erwachsenen, der anders als die Eltern oder Lehrer nicht so verklemmt, sondern offen ist. Sie spüren die Angst der eigenen Eltern, wenn sie diese auf das Thema ansprechen. Diese Angst führt bei Kindern zu eigener Verunsicherung. Sie glauben: „Darüber spricht man nicht.“ Und sie denken: „Wahrscheinlich muss das so sein, dass es sich beklemmend anfühlt.“ So sind sie vielleicht sogar stolz und dankbar für das Vertrauen des Täters, der sie in den Kreis der Eingeweihten aufgenommen hat. Achten Sie aber bei den Gesprächen mit Ihrem Kind auf einen altersgerechten Umgang mit dem Thema. Warten Sie ab, bis das Kind Fragen stellt und antworten Sie ehrlich.

Maßnahme Nr. 4: Eine sichere Betreuung

Täter suchen gezielt nach Orten, an denen sie Zugang zu Kindern haben und an denen die Gefahr des Aufdeckens ihrer Taten gering ist. Sie sondieren die Durchsetzungskraft der Mitarbeitenden, die Kommunikationskultur. Sie achten auf den Umgang mit dem Thema Sexualität. Sie nehmen wahr, ob Kinder ernstgenommen oder abgebügelt werden. Sie prüfen in Testritualen, wie auf kleine und größere Grenzüberschreitungen reagiert wird.

Vereine, Schulen, Kindergärten, die verantwortungsvoll mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, haben fachliche Standards ausgearbeitet. Diese Standards sind für Eltern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einsehbar. Es gibt Regeln, die das Vermeiden von Eins-Zu-Eins-Situationen sicherstellen. Einrichtungen, die um die Ernsthaftigkeit der Thematik wissen, überprüfen die fachliche Eignung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie unterstützen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, indem sie Fortbildungen zum Thema finanzieren. Vereine, Kirchen, Schulen, Kindergärten, die nicht nur kreative, sondern auch sichere Orte für Kinder sind, achten auf ein funktionierendes Beschwerdemanagement. Es ist klar, was im Fall eines Vorwurfs zu tun ist. Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner sind bekannt, es gibt ein klares Verfahren für den Fall der Fälle. Auch Kinder haben die Möglichkeit, sich zu äußern, da es eine Beschwerdenummer, vielleicht einen Beschwerdebriefkasten oder Vertrauenspersonen gibt.

Machen Sie als Eltern einen Termin mit der Leitung der Gruppe, zu der Ihr Kind geht, und bitten Sie darum, den Kodex oder die Regeln einzusehen. Fragen Sie, wann die letzte Schulung zum Thema stattgefunden hat. Lassen Sie sich erklären, welche präventiven Maßnahmen ergriffen werden, um Kinder stark zu machen. Fragen sie nach den Vertrauenspersonen oder dem Beschwerdemanagement. Seien Sie dabei nicht vorwurfsvoll, aber konsequent. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen unter einem enormen Druck. Es wird von ihnen erwartet, dass sie dokumentieren, evaluieren, inkludieren … Viele tun dies über die eigene Arbeitszeit hinaus oder in Vereinen und Kirchengemeinden sogar unbezahlt und ehrenamtlich. Machen Sie deutlich, dass Sie beim Thema Kindesschutz engagierter Partner sein wollen, doch lassen Sie sich auch nicht abbügeln. Täter leben davon, dass das Thema noch immer bagatellisiert und nicht ernstgenommen wird.

Keine hundertprozentige Sicherheit

Ein Netzwerk aus starken Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, starken Eltern und starken Kindern stellt einen wirksamen Schutz gegen sexuelle Gewalt dar. Dennoch kann niemand davon ausgehen, es gebe irgendwo hundertprozentige Sicherheit. Der Täter versucht ja mit allen Mitteln, das Aufdecken seiner Taten zu vermeiden. Er fordert von den Betroffenen Geheimhaltung, erklärt das Geschehene zum Tabu und gibt dem Opfer die Schuld daran, dass alles so gekommen ist: „Du hast mich verführt!“ Kinder sind dadurch einem massiven Stress und großer Hilflosigkeit und Ohnmacht ausgesetzt. Darum senden sie Signale, die uneindeutig bleiben. Sie schreien in der Regel nicht laut nach Hilfe. Seien Sie sensibel für Veränderungen Ihres Kindes. Nehmen Sie Abweichungen im Verhalten Ihres Kindes wahr. Hören Sie zu und nehmen Sie es ernst, wenn Ihr Kind sagt: „Ich will nicht mit dem Nachhilfelehrer alleine in meinem Zimmer sein.“

Wirksamer Schutz

Täter kommen meistens aus dem engeren Umfeld des Kindes. Auch Trainer, Lehrer oder Hausmeister können Täter sein. In 75 Prozent der Fälle kommt der Täter aus dem engeren Verwandten- und Bekanntenkreis. Der wirksamste Schutz ist ein starkes Kind, das Selbstbewusstsein entwickeln durfte, das gelernt hat, Grenzen zu setzen und mit Grenzen umzugehen und das weiß: „Erwachsene machen Fehler und ich darf mir Hilfe suchen“. Einen wirksamen Schutz bieten Einrichtungen, die durch Programme zum „Nein“-Sagen oder zu guten und schlechten Geheimnissen sowie durch fachliche Standards und ein wirksames Beschwerdesystem ein starkes Signal an Täter senden, dass Missbrauch und Grenzüberschreitungen entschieden entgegengetreten wird. Zu einem wirksamen Schutz tragen Eltern das Wichtigste bei, wenn sie wertschätzend kommunizieren, eine echte Beziehung zum Kind haben und Kinder sich angenommen und willkommen fühlen, so dass auch schwierige Themen besprochen werden können.

Dieser Artikel erschien in leicht veränderter Form in der Ausgabe 01/2016 der Zeitschrift „family“.

Christian Rommert engagiert sich seit vielen Jahren für den Kindesschutz. Er führt regelmäßig Abende für Eltern und Interessierte durch. Der nächste findet am 25. November 2016 um 20 Uhr in der Bessemerstr. 85, Halle 8, 44793 Bochum statt. Mehr erfahren Sie hier www.kinderschutz.media.

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