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Mein Baby schreit und schreit …

Wenn ein Säugling viel schreit, liegen die Nerven der Eltern schnell blank. Leider ist nicht nur der Grund für das Gebrüll häufig schwer zu finden, sondern auch fachkundige Hilfe.

Das Informationsdickicht
Gibt man „Schreibaby“ als Suchbegriff bei Google ein, erhält man etwa eine Viertelmillion Treffer: gleich mehrere Einträge unter unterschiedlichen Schlagworten bei Wikipedia, zahlreiche Artikel in den Online-Ausgaben von Tageszeitungen und Magazinen, Portale für hilfesuchende Eltern, zahlreiche Foren, Angebote von Ärzten, Physiotherapeuten, Psychologen, Selbsthilfegruppen und Heilpraktikern. Daneben werden Produkte beworben, die Abhilfe schaffen sollen: Spezielle Wiegen und Tragetücher etwa sowie pflanzliche oder homöopathische Arzneien. Das Informationsangebot kann man als Dickicht bezeichnen, die Zahl der diskutierten Ursachen und vorgeschlagenen Behandlungsmethoden ist enorm. Da stellt sich einerseits die Frage, ob es einen weiteren Ratgebertext überhaupt braucht.

Andererseits macht es deutlich, wie relevant das Thema offenbar ist. Doch selbst die Fallzahlen werden kontrovers diskutiert: Gibt es einerseits Schätzungen, die besagen, dass bis zu 29 Prozent, also fast ein Drittel aller Säuglinge, so genannte Schreibabys sind, wird an anderer Stelle postuliert, die Diagnose sei „typisch deutsch“ und „echte“ beziehungsweise behandlungswürdige
Fälle gebe es weitaus weniger.

Eine Faustformel
Schreien ist für Babys in erster Linie Kommunikation. „Liebe Eltern, mir fehlt etwas“, sagt der Säugling. Ist der Mangel abgestellt, beziehungsweise das akute Bedürfnis des Säuglings befriedigt, hört das Gebrüll meist schnell auf. Manchmal hilft ein Tipp der Hebamme zur Ernährung der stillenden Mutter oder dem Umgang mit dem Kind, das Problem zu lösen. Doch bisweilen gelingt es nicht, herauszubekommen, woran es fehlt und scheinbar hilft nichts, das Kind zu beruhigen.
Eine Einordnung, ob die unaufhörlichen Schreiattacken über das normale Maß hinausgehen, wird meist anhand der sogenannten Dreierregel vorgenommen:
Schreit ein Säugling vor allem in den ersten drei Lebensmonaten
an drei oder mehr Tagen in der Woche für drei oder mehr Stunden pro Tag und das über einen Zeitraum von drei oder mehr Wochen, wird von einem Schreibaby gesprochen. Eine Diagnose ist das natürlich nicht.

Ausschlussdiagnostik
Einen Kinderarzt aufzusuchen, ist in jedem Fall ratsam. Der kann feststellen,
ob der Säugling an einer Erkrankung leidet – beispielsweise einer schmerzhaften Mittelohrentzündung, einem Harnwegsinfekt oder an angeborenen oder erworbenen Schädigungen an Knochen oder Gelenken. Auf Störungen im Verdauungssystem wie Verstopfung, Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder -allergien wird der Arzt das Baby ebenfalls untersuchen. Früher wurde unter dem Begriff „Dreimonatskoliken“ vieles subsummiert, was in diese Richtung deutet. Auch wurden schmerzhafte Blähungen als Ursache für das Geschrei gesehen. Heute geht man davon aus, dass ein Blähbauch bisweilen durch das Schreien selbst ausgelöst wird, weil dabei Luft geschluckt wird. In den allermeisten Fällen können ernsthafte Erkrankungen ohne großen diagnostischen Aufwand schnell und sicher ausgeschlossen werden. Für viele Eltern ist genau dies jedoch zunächst unbefriedigend.

KiSS und Co.
Alternativmedizinisch werden zahlreiche weitere Ursachen für das fortwährende
Schreien von Säuglingen verantwortlich gemacht. Darunter unsichtbare Gelenksblockaden,
Spannungen an den Schädelknochen und das sogenannte KiSS-Syndrom. Die Abkürzung KiSS steht für „Kopfgelenk-induzierte Symmetrie-Störung“. Als Behandlung werden meist so genannte manuelle Therapien, zum Beispiel Osteopathie, empfohlen.
Wissenschaftliche Belege gibt es weder für das Krankheitsbild noch für die Wirksamkeit der entsprechenden Behandlungen, wohl aber viele überzeugte Therapeuten und Eltern. WovorFachleute aber relativ einhellig abraten, ist, Säuglinge unnötig der Strahlenbelastung einer Röntgenuntersuchung auszusetzen, um eine solche Diagnose zu verifizieren.

Stress und Überforderung
Stress als Ursache für das Schreien eines Babys zu sehen, mag zunächst abwegig erscheinen. Doch in den ersten Lebensmonaten ist der Säugling unglaublich vielen neuen Sinneseindrücken
ausgesetzt und muss lernen, diese einzuordnen und sich in seiner neuen, überaus komplexen Welt zurechtzufinden. Da bedarf es vieler Ruhepausen zum Verarbeiten. Fehlen diese, etwa weil die Umgebung Schlaf kaum zulässt, entstehen Stress und Überforderung schnell.
Und auch für die Eltern ist diese Lebensphase eine Zeit der neuen Eindrücke – sie müssen beispielsweise lernen, die nonverbale Kommunikation ihres Kindes richtig zu interpretieren. Was etwa mag es bedeuten, wenn das Kind das Gesicht abwendet? Ablehnung, Desinteresse, Protest? Wie soll man reagieren? Oder sagt das Kind damit: „Ich brauche ein Pause“, und man lässt es am besten ganz in Ruhe? Und wenn das Baby schreit – sollte man es auf den Arm nehmen und herumtragen oder muss es lernen, sich allein zu beruhigen? Ein Nachschlagewerk mit allgemeingültigen „Übersetzungen“ gibt es ebensowenig wie Patentrezepte für das „richtige“ Verhalten. Experten raten definitiv zu einer prompten Reaktion und zu Körperkontakt. Dabei sollte das Baby aber nach Möglichkeit wenigen neuen Reizen ausgesetzt werden, damit es zur Ruhe kommen kann – ein Herumtragen oder gar Herumfahren im Auto kann eher kontraproduktiv sein.

Hilfen für Eltern
Und dann wäre da noch das Thema „Wechselwirkung“. Schreit das Kind, liegen bei den Eltern die Nerven blank. Sind die Eltern schlaflos und gestresst, überträgt sich das auch auf das Kind. Ein Teufelskreis, dem man nur durch „Auszeiten“ und häufig nur mit Hilfe von außen entkommt. Eine mögliche Anlaufstelle sind Schreiambulanzen, die vielerorts existieren und meist Kinderkliniken angegliedert sind. Dort richtet sich der Blick neben der medizinischen Seite auf die individuelle soziale und psychische Situation der Familienmitglieder. Schreiambulanzen in Ihrer Nähe finden Sie unter: www.schreibaby.de/adressen-fuer-eltern-von-schreibabys/#plz4.

Und auch wenn es akut betroffenen Eltern ein schwacher Trost erscheinen mag: Bei fünf von sechs Babys gibt sich das Schreien nach dem dritten Lebensmonat ganz von selbst.

Bettina Schaefer

 

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