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Vorbild zu sein bedarf es wenig

Bildnachweis: Jörn Stollmann

Neulich waren wir mit einem befreundeten Pärchen zusammen unterwegs. Wir kennen uns schon sehr lange. In den letzten Jahren jedoch haben wir uns etwas aus den Augen verloren. Miriam und Jörg sind damals wegen der Arbeit weggezogen. Mittlerweile haben sie auch zwei Kinder – ein Mädchen und einen Jungen. Ganz putzige Wesen, die man gleich ins Herz schließt, wenn man sie das erste Mal trifft. Und wie ähnlich die beiden ihren Eltern sehen. Wie aus dem Gesicht geschnitten. Zwei Mini-Versionen von Mama und Papa. Sehr süß. Einfach zum Liebhaben – wären da nicht zwei Dinge, die wir beinahe schon vergessen hatten. Miriam hatte schon immer diese komische Angewohnheit, alles zweimal machen zu müssen. Schließt sie eine Tür ab, schließt sie sie einmal zu, dann wieder auf und dann noch einmal zu. Oder wenn sie den Tisch deckt, packt sie den Teller einmal auf den Tisch, hebt ihn dann noch einmal an, um ihn schließlich und endgültig abzustellen. Wenn man, wie wir letztens, ein ganzes Wochenende mit Miriam verbringt, muss man sich sehr zusammenreißen, um ihr Verhalten zu tolerieren. Das war schon immer so – und nie ganz einfach. Jetzt allerdings hält man es kaum mehr aus. Denn nicht nur Miriam leidet unter diesem Tick, nein, auch ihre fünfjährige Tochter. Und wenn beide zusammen den Tisch decken, ist es lautstärkemäßig so, als ob die LaBrassBanda-Band in voller Mannstärke Zwölftonmusik aufführen würde. Unmenschlich. Nicht zum Aushalten. Da hilft nur die Flucht.Und dann sitzt man endlich am Mittagstisch, genießt die Ruhe vor dem Mahl und bricht innerlich zusammen, als Vater und Sohn schließlich zum Besteck greifen. Sophia hat mich noch nie so angesehen wie in diesem Moment. Aus ihren Augen trafen mich Blitze voll ungläubigem Ekel. Und auch ich pulte mit dem kleinen Finger erst einmal tief in meinen Ohren, weil ich Geräusche vernahm, die ich einfach nicht glauben wollte. Vor mir saßen Jörg und sein Zwergendouble und schmatzten um die Wette. Aber nicht nur so ein bisschen, sondern volle Lotte. Das letzte Mal habe ich so etwas in einem Bud-Spencer-Film gehört und gesehen. Unseren beiden Gästen schmeckte das Essen offensichtlich. Wir haben später lange überlegt, ob Jörg früher wohl auch schon so geschmatzt hat und tatsächlich haben wir uns an einen gemeinsamen Urlaub erinnert, in dem wir in einem Restaurant die irritierten Blicke der Nachbartische auf uns gezogen haben. Aber wir waren uns beide einig, dass Jörg niemals und zu keiner Zeit beim Essen gerülpst hat. Doch genau das taten er und sein Sohn nun mit einer Selbstverständlichkeit, dass Jamie und Charlie uns zwar skeptisch ansahen, aber ansonsten keine Reaktion zeigten. Das taten sie erst ganz am Ende des Essens. Genau in dem Augenblick, als Jörg und sein Sohn fast zeitgleich furzten und sich anschließend mit einem gewissen Stolz im Gesicht angrinsten. Ich kann das alles selbst eigentlich immer noch nicht glauben, auch jetzt nicht, in diesem Moment, wo ich es aufschreibe. Jamie und Charlie lachten und wollten sich gar nicht mehr einkriegen. Und Sophia und mir war die ganze Sache so peinlich, dass wir die beiden mehrmals ermahnten, sie sollten sich beruhigen. Wie grotesk, im Nachhinein. Denn natürlich hätte ja nicht uns die Sache peinlich sein müssen, sondern unseren Freunden. Doch für die schien alles in bester Ordnung.Miriam wischte sich zweimal nacheinander den Mund ab und lobte das leckere Essen – bevor sie die Teller einsammelte, in die Küche brachte, noch einmal mit den Tellern an den Tisch zurückkehrte, sie auf den Tisch stellte, um sie dann schlussendlich wieder in die Küche zu bringen.Nachdem die vier weg waren, haben Sophia und ich zusammen im Bett gelegen und überlegt, was denn unsere beiden Kleinen von uns übernommen haben könnten. Doch obwohl wir noch lange wach lagen, fiel uns einfach nichts ein. Wir kamen, kurz bevor uns das Sandmännchen endgültig die Augen zudrückte, zum Schluss, dass die beiden wohl offensichtlich im Krankenhaus jeweils nach der Geburt vertauscht worden sein müssen. Gut, das Besudeln mit Tomatensoße beim Essen könnte vom Opa abstammen und das Gläser-Umschmeißen im Zuge allzu temperamentvollen Erzählens wohl auch. Die sagenumwobene Vergesslichkeit von Jamie könnte man der einen Oma zuschreiben und der Hang zur Unpünktlich von Charlie der anderen. Woher allerdings diese extreme Unordentlichkeit der beiden stammt, ist wenigstens mir ein Rätsel. Sophia machte zwar Andeutungen, dass dies möglicherweise etwas wäre, das Jamie und Charlie von mir haben könnten, aber weil ich in diesem Moment den perfekten Blick in ihren offenen Kleiderschrank hatte, wollte sie das Thema nicht mehr weiter vertiefen.Am anderen Morgen hatten wir die Ereignisse des vergangenen Wochenendes fast schon wieder vergessen. Bis zum Mittag. Denn als wir gerade mit dem Essen fertig waren, hoben Jamie und Charlie wie auf Kommando zeitgleich ihr Gesäß auf den Kinderstühlen seitlich ein Stück nach oben – und furzten. Danach grinsten sie sich beide begeistert an.Im Nachhinein kann man vielleicht sagen, dass meine Reaktion auf die Püpse der beiden nicht die allerbeste war, aber in diesem einen, sehr speziellen Moment, in dem ich Jamie und Charlie glücklich und zufrieden lächelnd vor mir sah, überkam es mich einfach. Ich hob meine linke Gesäßhälfte ebenfalls ein Stück vom Stuhl empor – und erschrak ein wenig über mich selbst, wie wunderbar einfach es doch ging. Am Kopfschütteln von Sophia erkannte ich, dass meine spontane Reaktion auch für sie sehr unerwartet kam. Doch als sich Jamie und Charlie vor Lachen auf den Boden fallen ließen, konnte sich auch Sophia ein verstecktes Schmunzeln nicht verkneifen. Noch zweimal versuchten unsere beiden kleinen Lausebengel den Scherz zu wiederholen. Doch weil Papa und Mama nicht mitlachten, ließen sie es danach sein. Miriam und Jörg haben uns übrigens zu einem Gegenbesuch im Sommer eingeladen. Mal schauen, was wir vier uns bis dahin einfallen lassen.

Ben Redelings

 

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